Provokation
Anstatt auf ein Argument oder eine Position einzugehen wird die Person, die das Argument vorbringt, verächtlich gemacht, beleidigt oder beschimpft. So wird versucht, eine ebensolche Reaktion zu provozieren, aufgrund der dann zum einen der Gegner als unfairer Diskutant dargestellt werden kann und zum anderen die Diskussion zum sachlichen Thema beendet wird.
Beispiele:
A: Die Kriminalitätsrate von Flüchtlingen ist nicht höher als die der deutschen Bevölkerung.
B: Du links-grün versiffter Faschist möchtest wohl uns Deutsche ausrotten!
Der Vollständigkeit halber, hier ein Beispiel aus der entgegengesetzten politischen Richtung:
A: Die Bereitschaft der Bevölkerung, Flüchtlingen zu integrieren, ist nicht unbegrenzt, wir sollten also Mittel und Wege finden, den Zuzug zu begrenzen.
B: Solchen Nazis wie dir gehört doch die Fresse poliert!
In keinem der Fälle wird irgendein Beitrag zur Diskussion geleistet – man könnte ja durchaus darüber diskutieren, ob die Kriminalitätsstatistik in diesem Fall zuverlässig ist, oder ob es Wege gäbe, die erwähnte Akzeptanz zu erhöhen, u.s.w. In jedem Fall wird so aber die Diskussion so vergiftet, dass eine weitere, sachliche Diskussion kaum noch möglich erscheint.
Beschreibung
Die Wirkungsweise dieser Form von Angriff liegt vor allem darin, die weitere Diskussion zu vergiften. Im schlimmsten Fall reagieren andere Diskussionsteilnehmer ebenso und geben dem Provokateur so Gelegenheit, zu behaupten, dessen Gegner seien „nicht an einer sachlichen Diskussion interessiert“.
Eine Provokation kann auf vielfältige Weisen ausgeübt werden, etwa durch Beleidigungen oder Unterstellungen – aber auch der Gebrauch bestimmter Killerphrasen kann als Provokation verwendet werden.
Provokationen können auch bewusst als eine Eskalationsstrategie eingesetzt werden, um eine Diskussion „entgleisen zu lassen“ (Derailing), also um eine sachliche Diskussion zu verhindern oder zu beenden.
Nicht zuletzt kann eine gezielte Provokation auch zur Generierung von Aufmerksamkeit eingesetzt werden. Dies hat sich im 20. Jahrhundert in der Kunst etabliert (zunächst in der Malerei, ab etwa dem 1960er Jahren auch in der populären Musik), wird aber in jüngster Zeit vor allem von populistischen Politikern eingesetzt. Letztere gebrauchen hierfür vor allem das Mittel der mehrdeutigen Aussagen, um aus der Entrüstung ihrer Gegner politsches Kapital zu generieren.
Aber nicht alles, was irgendein Diskussionsteilnehmer womöglich als „Provokation“ auffasst, kann man auch wirklich als solche bezeichnen. Siehe unten für Einschränkungen des Begriffes.
Abwehr
Die Abwehr von Provokationen kann schwierig sein und sie verlangt viel Disziplin. Wichtig ist es vor allem, nicht auf die Provokation selbst einzugehen und die „moralische Lufthoheit“ zu behalten. Auf keinen Fall sollte man mit einer Erwiderung der Beleidigung oder Unterstellung antworten.
Die wichtigsten Strategien werden im Folgenden kurz dargestellt:
1. Ignorieren
Wohl eine der stärksten, aber wahrscheinlich oft am schwersten auszuführende Strategie besteht darin, den Angriff einfach von sich abprallen zu lassen, um dann die Diskussion auf sachlicher Ebene weiter zu führen.
Allerdings: gerade wenn man selbst persönlich angegriffen wurde, benötigt man schon hierfür schon eine sehr große Portion Selbstbeherrschung (und Selbstsicherheit). Dafür kann man so den Gegner in eine Situation bringen, in der er sich aus Sicht des Publikums selbst beschädigt hat, ohne die „moralische Lufthoheit“ aufgeben zu müssen.
Dies gilt umso mehr, wenn zu vermuten ist, dass das Hauptanliegen einer Provokation eher darin liegt, Aufmerksamkeit zu erregen. Jede Entrüstung würde dann dem Gegner nur in die Hände spielen, während dieser durch ein Ignorieren der Provokation eher frustriert wird.
Aber es gibt natürlich Grenzen – wenn der Gegner einfach nicht locker lassen will, muss man irgendwann zur nächsten Stufe übergehen:
2. Zurückführen
Einen Schritt weiter geht man, indem man die Provokation sozusagen „aktiv“ ignoriert und die Diskussion explizit auf die sachliche Ebene zurückführt:
Das ist ein schönes Wortspiel, das Sie da gebraucht haben und ich freue mich, dass Sie damit so viele Lacher auf ihrer Seite haben, aber das Thema ist es wert, hier ernsthaft diskutiert zu werden …
Die Frage, inwieweit mein Berufsstand bestechlich ist, wäre in der Tat ein interessantes Gesprächsthema, aber wir diskutieren hier und heute ein anderes Thema und ich denke wir sollten dies auf sachliche und faire Weise diskutieren. Also zurück zum Thema …
Lassen Sie uns doch hier sachlich und zum Thema diskutieren. Wenn Sie möchten können wir später dann die Frage klären, was unsere Eltern beruflich machen.
Gerade wenn es darum geht, vor einem Publikum besser dazustehen, kann man mit dieser Strategie gewöhnlich besser punkten als mit jeder möglichen direkten Erwiderung auf die Provokation.
3. Abbruch oder Ausschluss
Wenn es keine Möglichkeit mehr gibt, die Diskussion auf die sachliche Ebene zurückzuführen, etwa weil wiederholt nur Provokationen oder ähnliche Trollversuche von einem oder mehreren Diskussionsteilnehmern kamen und/oder deutlich kein Interesse an einer sachlichen Unterhaltung besteht, kann der Abbruch der Diskussion, oder der Ausschluss des Provokateurs die richtige Wahl sein.
Auf sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook entspräche dies dem Blockieren oder Muten des fraglichen Accounts.
In einer ernsthaften Diskussion sollte der Abbruch oder das Blockieren jedoch wirklich nur ein allerletztes Mittel sein, also nur angewandt werden, nachdem der Provokant mehrfach zum Rückkehren zum Thema aufgefordert wurde. Dies gilt vor allem, wenn Ziel der Diskussion ist, Dritte von den eigenen Argumenten zu überzeugen, da ein Ausschluss leicht als Zensur missliebiger Meinungen interpretiert werden kann und so die eigene Glaubwürdigkeit schwächt.
Idealerweise sollte der Ausschluss daher durch einen neutralen Dritten geschehen. In einem Diskussionsforum etwa durch den Foren-Admin oder in einer Panel-Diskussion durch den Moderator.
Gerechtfertigter Gebrauch
Wie für viele andere Methoden und Techniken auf dieser Site gibt es auch für Provokationen einen Anwendungsbereich, in dem es gerechtfertigt sein kann, durch eine provokative Aussage neue Aspekte in eine Diskussion einzubringen.
Provokationen als rhetorisches Mittel
Je nach Kontext und Thema der Diskussion sollte man ein gewisses Maß an Provokation auch als rhetorisches Mittel zulassen. Dies dürfte etwa im Bereich der Kunst (insbesondere Satire) mehr gelten als für schwierige gesellschaftliche Themen, aber grundsätzlich ist nicht jede Provokation unbedingt gleichbedeutend mit einer unfairen Diskussionsstrategie.
Allerdings müssen dabei bestimmte Grundregeln eingehalten werden: auch eine Provokation kann sachlich sein und die Diskussion weiter bringen, oder unsachlich und die weitere Diskussion zu unterbinden versuchen.
In jedem Fall unsachlich sind hierbei jegliche Formen von Beleidigungen, Diffamierungen oder Unterstellungen. Dazu gehören insbesondere auch rassistische, sexistische oder sonst irgendwie diskriminierende Äußerungen. Und zwar sowohl bezüglich der Diskussionsteilnehmer als auch von Dritten.
Sachliche Beiträge mit provozierendem Charakter sind z.B. Fragen, die den Bereich der Diskussion erweitern und Begriffe und Vorannahmen hinterfragen.
„Gruppendenken“ aufbrechen
Als „Gruppendenken“ (group think) bezeichnet man eine Meinung oder Haltung, sich in einer Gruppe durch sozialen Konformitätsdruck etabliert hat und die innerhalb der Gruppe nicht mehr hinterfragt wird.
Versuche, so eine Gruppenmeinung zu hinterfragen, werden meist sofort als „Provokationen“ empfunden. Nichtsdestotrotz sind sie wichtig und sollten ernst genommen werden, da sie helfen können, vorgefertigte Meinungen einem Realitätscheck zu unterziehen.
Bei wichtigen Themen kann es sogar hilfreich sein, gezielt eine solche, dann Advocatus Diaboli („Anwalt des Teufels“) genannte, Rolle einzunehmen um gezielt unzureichend ausdiskutierte Meinungen und Lösungsmöglichkeiten einer kritischen Untersuchung zu unterziehen.
Satire
Im deutschsprachigen Raum hat die Satire aus historischen Gründen eine erhebliche „Narrenfreiheit“ gewonnen. Dies führt so weit, dass selbst übelste Beleidigungen, die in einem erkennbar satirischen Rahmen geäußert werden, von einem besonderen Schutzrecht Gebrauch machen können.
Die Voraussetzung hierfür ist aber, dass es sich für alle wenigstens potenziell erkennbar um Satire handelt. Jemanden zu beleidigen und hinterher zu behaupten, es sei satirisch gemeint gewesen, ist keine gültige Strategie (und wird einem, sollte es vor Gericht gehen, dort nicht weiter helfen).
Siehe auch
Weitere Informationen
- Provokation auf Wikipedia
- Gruppendenken auf Wikipedia