Abduktion (Logik)
Logisches Schlussverfahren, das darauf abzielt, die bestmögliche Erklärung für ein Phänomen zu finden. Solche Schlüsse sind nicht zwingend wahr, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit.
[Beobachtung:] Die Straße ist nass.
Möglicherweise hat die Straßenreinigung die Straße gewaschen, oder jemand hat sein Auto auf der Straße gewaschen, oder es hat geregnet.
Der Wetterbericht hatte für den Tag vereinzelte Regengüsse angekündigt.
Deswegen gehen wir (solange es keine weiteren Hinweise gibt) davon aus, dass Regen der Grund dafür ist, dass die Straße nass ist.
Die Schlussfolgerung ist naheliegend, und – solange man sich darüber im Klaren ist, dass sie nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gültig ist – durchaus zulässig.
Allerdings muss man in so einem Fall auch bereit sein, den Schluss jederzeit zu revidieren, wenn weitere Informationen verfügbar werden, welche diesen in Frage stellen: z.B. die weitere Beobachtung, dass nur der Straßenabschnitt vor einen Haus nass ist und nicht der Rest der Straße; Oder dass man sieht, wie ein Nachbar den Hochdruckreiniger in die Garage trägt, u.s.w.
Andere Namen
- Retroduktion
- Schluss auf die beste Erklärung
- Apagōgē [Ἀπαγωγή]
Hinweis: Abduktion wird gewöhnlich als eine Form von Induktion angesehen, und entsprechend wird auch der Begriff „Induktion“ benutzt, um abduktive Schlüsse zu bezeichnen. Während es genügend Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Schlussformen gibt, um eine solche Klassifikation zu rechtfertigen, gibt es aber auch mehr als genug Unterschiede, wegen derer die beiden Begriffe nicht vermischt werden sollten.
Beschreibung
Das Ergebnis einer Abduktion ist lediglich eine plausible Vermutung, die jederzeit revidiert werden kann. Man bezeichnet solche Schlüsse daher auch nicht als „wahr“, sondern als „gültig“, „plausibel“ oder „wahrscheinlich“. Dafür erlaubt die Abduktion, Vorhersagen zu treffen, was mit den Mitteln der klassischen Logik (Deduktion und Induktion) nicht möglich wäre.
Insbesondere ist die Abduktion als einzige der drei Schlussformen, welche Wissens-erweiternd gebraucht werden kann: wir können in der Tat neues Wissen schaffen, indem wir für beobachtete Phänomene die wahrscheinlichste Erklärung auswählen. Mehr hierzu unter ☞ Wissenschaftsphilosophie.
Offensichtlich kommt eine solche wahrscheinliche Schlussfolgerung dafür mit zahlreichen Einschränkungen. Werden diese nicht oder unzureichend beachtet, können verschiedene Fehler auftreten, davon werden einige in den folgenden Artikeln beschrieben:
Beispiele
Medizinische Diagnose
Eine typische medizinische Diagnose ist ein gutes Beispiel für abduktive Schlussfolgerunden: aus den Informationen, die mittels Anamnese erhalten werden, wie Krankheitssymptome, Vorerkrankungen u.s.w. sowie aus den Fachkenntnissen und Erfahrungen wird ermittelt, welche Erkrankung am wahrscheinlichsten ist.
Sicher hat jeder schon Geschichten gehört, wo solche medizinischen Diagnosen sich dann im Nachhinein als unzureichend oder sogar komplett als falsch herausgestellt haben. Dies liegt leider in der Natur der Sache, da eine notwendig korrekte Diagnose nur bei vollständigem Wissen über alle relevanten Faktoren möglich wäre, was praktisch nicht möglich ist (☞ Fehler der eliminativen Induktion).
Hinweis: Während des Medizinstudiums lernen zukünftige Ärztinnen bzw. Ärzte bei der Anamnese wenigstens die häufigsten Fehler – die z.B. aus der eigenen Bestätigungsneigung entstehen können – zu vermeiden. Es liegt nahe, dass in der späteren Berufsausübung trotzdem manche darin besser sind als andere und dass selbst die Besten auch wenigstens manchmal daneben liegen werden. Im Zweifelsfall sollte man aber trotzdem der Diagnose von ausgebildeten Ärzten eher vertrauen, als der von Laien oder gar von Unbekannten aus dem Internet.
Sherlock Holmes’ Schlussfolgerungen
Anders als der Autor seinen berühmten Detektiv erklären lässt, sind praktisch alle seine Schlussfolgerungen – zumindest die in den originalen Büchern – keine Deduktionen, sondern Abduktionen.
Wenn Holmes etwa anhand der Verschmutzungen an der Kleidung darauf schließt, dass sich jemand an einem Ort aufgehalten hat, wo ein spezifischer Typ an Erdboden vorherrscht, ist dies zunächst einleuchtend und auch mit großer Wahrscheinlichkeit korrekt, aber eben nicht zwingend wahr. Die Verschmutzung hätte z.B. auch indirekt erfolgen können, etwa durch Kontakt mit einem schmutzigen Fuhrwerk, das in der jeweiligen Gegend unterwegs war. Oder die Person könnte bereits – womöglich von einer anderen Person – verschmutzte Kleidung angezogen haben.
Zweifellos sind die anderen Erklärungen deutlich weniger wahrscheinlich als die von dem Detektiv gewählte, aber im echten Leben können sie nicht so einfach ausgeschlossen werden, wie in einem Roman – wo der Autor natürlich die „wahre“ Begebenheit kennt.
Der Romandetektiv ist übrigens auch Namensgeber für die sog. Sherlock-Holmes-Fehlannahme, die hiermit aber nur indirekt zu tun hat.
Siehe auch
Weitere Informationen
- Abduction auf Stanford Encyclopedia of Philosophy (Englisch)