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Ökologischer Fehlschluss

Beschreibt einen Fehl­schluss, bei dem ein sta­tist­isches Merk­mal unzu­lässig auf ein nied­rig­eres Ag­gre­ga­tions­niveau über­tragen wird, als das, auf welches es tat­säch­lich vor­weist.

Die Kriminalitätsrate in der Stadt X ist ver­hält­nis­mäßig hoch.
Person A kommt aus der Stadt X.
Also ist A kriminell.

Ein solcher Schluss ist natür­lich un­sinnig, da selbst in einer Stadt mit sehr hoher Krimi­na­li­täts­rate immer noch nur ein kleiner Teil der Be­völk­er­ung tat­sächlich krimi­nell ist – die Wahr­schein­lich­keit, dass eine be­lieb­ige Per­son tat­säch­lich in der Gruppe der Krimi­nellen ist, ist daher recht gering.

Anders gesagt: Die Krimi­nali­täts­rate einer Stadt liegt auf einem hohen Ag­gre­ga­tions­niveau vor (es be­zieht sich auf die Gesamt­heit der Be­wohner einer Stadt). Eine Über­trag­ung auf ein nied­rig­eres Niveau (in diesem Fall auf die indi­vidu­ellen Be­wohner, aber ebenso auf eine Unter­gruppe, etwa die Be­wohner eines Stadt­viertels) ist nicht so ein­fach möglich.

Während den meisten wohl die Ab­surdi­tät eines solchen Schlus­ses sofort ein­leuchtet, wenn er sich wie hier auf eine Stadt be­zieht, sind ver­gleich­bare Ver­all­ge­mein­er­ungen, die sich auf Eth­ni­zi­tät, Reli­gion oder Ab­stamm­ung be­ziehen, je­doch recht ver­breitet. Man denke nur an ver­breitete Vor­urteile über z.B. Roma, Mus­lime, Al­baner oder auch Sizil­ianer.

Andere Namen

  • Gruppen­fehlschluss
  • Ecological (infer­ence) fallacy
  • Popu­lation fallacy

Beschreibung

Statistische Kenn­zahlen sind stets Ver­ein­fach­ungen der zu­grunde lieg­enden Daten. Re­du­ziert man kom­plexe Sach­ver­halte auf einen oder auf wenige Kenn­zahlen, lassen sich diese leichter ver­stehen, kom­mu­ni­zieren oder auch ver­gleichen. Man ver­liert da­mit aber auch In­for­ma­tionen, ins­be­sondere zu den Daten, die über Indi­vi­duen vor­liegen.

So ist etwa die Krimi­na­li­täts­rate einer Stadt ein sinn­volles Maß, um diese über einen Zeit­raum oder gegen­über anderen Städten ver­gleichen zu kön­nen. Sie ist nicht hilf­reich, um Infor­ma­tionen über Indi­vi­duen oder Unter­gruppen (z.B. Stadt­viertel) aus dieser Stadt zu er­halten.

Der Fehler besteht nun genau darin, eine solche Kenn­zahl, die auf ein höh­eres Ag­gre­ga­tions­niveau ver­weist, auf ein nied­rig­eres Niveau zu über­tragen. Hier also: in­dem ver­mutet wird, die Krimi­nali­täts­rate der Stadt er­laube auch eine Aus­sage über Indi­viduen, die in dieser Stadt leben.

Abgrenzung

Spezifisch für diesen Denk­fehler ist, dass er sich auf sta­tis­tische Kenn­zahlen be­zieht. Da­ge­gen be­zieht sich der mereo­log­ische Fehl­schluss auf das Ver­hält­nis zwischen einem Sys­tem als Ganzes und des­sen (funk­tio­naler) Be­stand­teile. Der Trug­schluss der Di­vi­sion schließ­lich be­zieht sich spe­zi­fisch auf Über­trag­ungen, die sich aus dem Phä­no­men der Emer­genz er­geben.

Nicht immer ist es aber ein­fach, zwischen all diesen zu unter­scheiden. Oft gibt es auch Situa­tionen, die mehrere Kate­gorien fallen könnten. In manchen Quellen werden diese Fehler daher auch alle einfach als Syno­nyme zu­ein­ander be­handelt.

Einordnung

Dieser Fehlschluss steht hier unter „Interpretationsfehler“ im Bereich Statistik, da dessen wesentliches Merkmal darin besteht, eine (korrekte) statistische Aussage falsch zu interpretieren und daraus ungültige Schlüsse zu ziehen.

Man kann dies auch als eine Form von unzulässiger Verallgemeinerung verstehen, da hier aufgrund von unzureichenden Informationen auf eine verallgemeinernde Aussage geschlossen wird.

In der Logik beschreibt der Trugschluss der Division einen sehr ähnlichen Sachverhalt, jedoch spezifisch auf eine Nichtbeachtung des Phänomens der Emergenz bezogen. Allerdings könnte man argumentieren, dass die Maße der deskriptiven Statistik grundsätzlich als emergente Eigenschaften von Gruppen verstanden werden sollten.

Und schließlich hat der ökologische Fehlschluss oft auch Aspekte eines Akzidensfehlers, nämlich dann, wenn nicht beachtet wird, dass eine Regel oder Aussage, die im Allgemeinen gilt, auch begründete Ausnahmen haben kann.

Gültige Anwendung

In Situationen, in denen ganz einfach keine besseren Daten ver­füg­bar sind, können Über­tragungen von höheren Ag­gre­ga­tions­niveaus als Basis für Heu­rist­iken brauch­bar sein, also als eine ein­fache Methode, die zwar keine „perfekten“, aber doch zu­mind­est „gut ge­nuge“ Er­geb­nisse her­vor­bringt. Man sollte sich dann aber natür­lich über die Ein­schränk­ungen, die solche heu­rist­ischen Methoden mit sich bringen, im Klaren sein.

Beispiele

Ökonomische Maßzahlen

Eine wichtige stat­ist­ische Größe, die immer wieder zu Fehl­inter­preta­tionen führt, ist die In­fla­tions­rate. Diese be­schreibt die durch­schnitt­liche Ver­änder­ung der Ver­braucher­preise, meist im Ver­gleich zum Vor­jahres­zeit­raum und sie kann in diesem Sinn gleich auf zwei ver­schied­ene Weisen falsch ver­standen werden:

Zum einen bedeutet die ver­öffent­lichte In­fla­tions­rate nicht, dass sich alle Waren gleicher­maßen um diesen Pro­zent­satz ver­teuern. Einige Pro­dukte oder Pro­dukt­gruppen können deut­lich höhere, andere deut­lich nied­rigere Preis­steig­er­ungen auf­weisen – einige Pro­dukte können sogar gegen den Trend billiger werden.

Daher sind selek­tive Ver­gleiche im Stil von „der Preis für Pro­dukt X ist seit letztem Jahr aber mehr als die of­fi­zielle In­fla­tions­rate ge­stiegen“ wenig aus­sage­kräftig. Noch weniger natürlich, wenn damit sug­ger­iert werden soll, dass die of­fi­ziel­le Sta­tistik un­richtig oder gar mani­pu­liert sei (siehe: „Glau­be keiner Sta­tistik, die du nicht selbst ge­fälscht hast“).

Zum anderen bedeutet die all­ge­meine In­fla­tions­rate für ein Land auch nicht, dass diese ident­isch zur indi­vidu­ellen In­fla­tions­rate sei, welche eine spe­zi­fische Per­son, Per­son­en­gruppe oder auch ein be­stimmter Wirt­schafts­sektor er­fährt. Letzt­lich unter­scheidet sich jedes indi­vi­du­el­le Kon­sum­profil – ein­schließ­lich der unter­schied­lichen Mög­lich­keiten, auf Sub­sti­tu­tions­güter aus­zu­weichen – was dann auch zu sehr unter­schied­lichen indi­vi­du­el­len In­fla­tions­raten führt.

So kann eine Lohn­er­höh­ung, die sich an der landes­weiten In­fla­tions­rate ori­ent­iert, für man­che zu einem re­alen Kauf­kraft­ver­lust führen, wärend andere wo­möglich sogar an Kauf­kraft ge­winnen.

In beiden Fällen liegt ein öko­log­ischer Fehl­schluss vor, wenn die all­gemeine Teuer­ungs­rate auf eine andere Ebene über­tragen wird – sei es auf Indi­viduen oder Be­völk­er­ungs­gruppen, sei es auf spe­zi­fische Pro­dukte bzw. Pro­dukt­gruppen.

Ähnliches kann man auch auf andere öko­nom­ische Maße über­tragen. Zum Bei­spiel ist die so­ge­nannte Kauf­kraft­pari­tät (engl.: „pur­chas­ing power parity“, PPP), ein Faktor, um denn sich die Kauf­kraft in ver­schied­enen Volks­wirt­schaften, oder in ver­schied­enen Zeit­räumen innerhalb einer Volks­wirt­schaft, unter­scheidet. Dabei handelt es sich aber stets um einen Durch­schnitts­wert für die gesamte Volks­wirt­schaft. Es ist leicht nach­voll­zieh­bar, dass sich der Kauf­kraft­wert etwa für Pro­dukte der lokalen Land­wirt­schaft stark von dem etwa für High-Tech Rüst­ungs­güter unter­scheidet. Daher sollte auch dieser Wert nicht un­ein­ge­schränkt auf ein­zelne Pro­dukte oder auch nur Pro­dukt­gruppen über­tragen werden.

IQ-Unterschiede von Bevölkerungsgruppen

Eine ganze Reihe von Miss­ver­ständ­nissen be­trifft die Unter­schiede zwischen normal­ver­teilten Merk­malen. Als Bei­spiel soll dies hier anhand des so­ge­nannten „In­telli­genz­quo­tienten“ (IQ) auf­ge­führt werden:

Es werden immer wieder Ver­gleiche von IQs zwischen ver­schied­enen Be­völk­er­ungs­grup­pen (z.B. auf­ge­schlüs­selt nach Be­rufs­grup­pen, Her­kunfts­länd­ern, Par­tei­prä­fer­enzen, Me­di­en­kon­sum, u.s.w) ver­öf­fent­licht. Solche Ver­gleiche haben oft zu­mind­est ge­wisse As­pekte von Emo­tions­apel­len oder von Selbst­über­heb­ungen, wes­wegen sie auch gerne auf sozi­alen Medien weiter ver­breitet werden. Wer möchte schon nicht gerne glauben, dass eine Gruppe, der man sich selbst zu­ge­hörig fühlt, in­tel­li­genter sei als andere …

Dabei sind solche Ver­gleiche bei weitem nicht immer so harm­los wie etwa bei Berufs- oder Studien­fach­ver­gleichen. So werden Unter­such­ungen, nach denen die durch­schnitt­lich er­mit­telten IQs von afro-ameri­kan­ischen Be­völk­er­ungs­grup­pen in den USA nied­riger sind, als die der euro­päisch- oder asia­tisch-stämm­igen Be­völk­er­ung immer wieder als ver­meint­lich „wissen­schaft­liche“ Be­gründ­ung für rass­ist­ische Dis­kri­mi­nier­ung her­an­ge­zogen. Spätere Studien, welche diese Er­geb­nisse wider­legen, werden dabei gerne ignoriert.

Es würde zu weit führen, alle Prob­leme solcher Ver­gleiche hier auf­zu­zählen. Spezi­fisch für das Thema dieses Artik­els wäre ein Schluss von unter­schied­lichen Durch­schnitts­werten auf unter­schied­liche In­telli­genzen der Gruppen­mit­glieder je­doch ein sehr gutes Beispiel für einen öko­log­ischen Fehl­schluss. Kurz gesagt: auch in der „in­telli­gen­tes­ten“ Gruppe gibt es immer mehr oder weniger in­telli­gente Indi­viduen.

Da der IQ per De­fi­ni­tion normal­ver­teilt ist, könnte man die Über­schneid­ung der Merk­mals­ver­teil­ungen in den beiden Gruppen im Prinzip sogar ge­nau be­rechnen. Der Auf­wand dafür lohnt sich aller­dings eher nicht, da die Werte auch noch ziem­lich un­ge­nau sind und eine Unter­scheid­ung meist ohne­hin nur mög­lich ist, wenn man diese mit einer irre­führ­enden Ge­nau­ig­keit nennt. In den meisten Fäl­len ist der Über­lapp­ungs­be­reich zwi­schen den beiden Popu­la­tionen jedoch so groß (siehe Ab­bild­ung), dass man kaum eine sinn­volle Er­kennt­nis da­raus ab­leiten kann.

Unter keinen Um­ständen kann man aus solchen Durch­schnitts­werten von Gruppen irgend­welche Schlüsse auf den IQ von Indi­vi­duen ziehen. Noch weniger üb­rigens auf deren In­telli­genz, was nicht un­be­dingt das­selbe ist (Semiotischer Irrtum).

Siehe auch

Lernmaterialien

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