Motivunterstellung
Rhetorischer Angriff auf die Person (ad hominem), in dem dieser ein externes Motiv für die vertretene Meinung unterstellt wird.
Zum Beispiel:
A: Wissenschaftliche Studien haben erwiesen, dass homöopathische Behandlungsmethoden keinen über den Placebo-Effekt hinausgehende positive Wirkung auf Patienten haben.
B: Kein Wunder, dass Sie das sagen, ich weiß doch, dass Sie Aktien von Pharma-Unternehmen besitzen!
Offensichtlich ist es für die Frage, ob A ein stichhaltiges Argument vorgebracht hat oder nicht, völlig gleichgültig, ob er wirklich ein finanzielles Interesse am wirtschaftlichen Erfolg von Pharma-Unternehmen hat. Das Argument, das A vorbringt, wird durch die Aussage von B nicht widerlegt.
Übrigens gilt dasselbe auch umgekehrt: auch wenn ein Verfechter der Homöopathie an dieser Geld verdient, ist das alleine kein Argument für oder wider die Wirksamkeit dieser Behandlungsmethode.
Andere Namen
- Befangenheit / Befangenheits-Ad-Hominem
- Performatives Ad-Hominem
- Circumstantial ad hominem
- Appeal to motive
- Appeal to bias
- Vested interest
Für einige Formen gibt es z.T. auch spezifische Begriffe, z.B. „(Argumentum) ad iram“ für eine Unterstellung, jemand sei durch Zorn oder Hass geleitet.
Beschreibung
Dem Gegner ein externes Motiv für eine vertretene Meinung zu unterstellen, richtet sich nicht sachlich gegen das Argument an sich (ad res), sondern ist ein Argument gegen die Person, die das Argument vorträgt. Genauer wird dem Gegner damit das Recht abgesprochen, eine Position vertreten zu „dürfen“, damit zählt dies zu den „performativen Ad Hominem“-Argumenten. Auch der Begriff „Befangenheits-Ad-Hominem“ wird hierfür gebraucht.
Indirekte Unterstellung
Solche Unterstellungen können auch indirekt geschehen, indem man vorgeblich dem „Argument“ eine Motivation unterstellt, damit aber natürlich den Redner meint (Argumente haben keine Motivationen, Menschen haben Motivationen):
A: Es sollte eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen geben, da dies die Zahl der schweren Unfälle mit Todesopfern verringern würde.
B: Solche Argumente sind gewöhnlich von dem Neid motiviert, dass Leute, sich teurere Autos leisten können und damit schneller fahren als man selber.
Hier wird zwar explizit das „Argument“ erwähnt (und angegriffen), tatsächlich aber dem Redner A implizit unterstellt, (ebenfalls) durch Neid motiviert zu sein (Reifikation).
Implizierte Unterstellung
Etwas subtiler, aber ebenso ungültig ist es, eine Unterstellung zu implizieren, etwa in der Politik:
Wenn die Abgeordneten der Opposition wahre Patrioten wären, würden sie diesem Gesetz zustimmen.
Wenn die Opposition vermeintlich nicht wirklich patriotisch gesinnt ist, impliziert das, sie habe andere Motive, die ihr Handeln bestimmen (siehe hierzu auch: Kein wahrer Schotte). Besonders unfair ist so ein Angriff, da der Angegriffene kaum eine Möglichkeit hat, sich dagegen zu wehren – es wurde ja nichts explizit unterstellt.
Zulässigkeit
Während Unterstellungen von externen Motiven, wie alle ad hominem-Angriffe, grundsätzlich keine gültigen Argumente darstellen, gibt es bestimmte Fälle, in denen sie gerechtfertigt sein können:
Die Person als Thema
Wenn die Person selbst oder etwas was die Person getan hat das Thema der Diskussion ist, ist ein Hinterfragen von Motiven natürlich grundsätzlich angemessen.
Verteidiger: Herr Richter, der Angeklagte hätte doch gar keinen Grund gehabt, seine Ex-Freundin zu ermorden!
Staatsanwalt: Eifersucht wäre ein ziemliche naheliegendes Motiv für solch ein Verbrechen.
Hinterfragung der Unabhängigkeit
Wenn die Person des Vortragenden ausdrücklich oder implizit ein Teil des Argumentes ist (z.B. wenn es als unabhängige Expertenmeinung vorgebracht wird), ist es zulässig, die Motivation zu hinterfragen.
A: Professor XYZ ist spezialisiert auf solche Fälle und laut seiner Einschätzung hat die Firma ABC hier keine Gesetze gebrochen.
B: Man sollte darauf hinweisen, dass Professor XYZ einen hoch dotierten Beraterposten bei der Firma ABC hat. Es ist zu bezweifeln, dass er da ein unabhängiges Urteil fällen kann.
Allerdings sollten in jedem Fall auch stichhaltige Beweise für ein vermeintliches Motiv vorgebracht werden können. Diese einfach zu behaupten reicht jedenfalls nicht aus.
Interessenvertretung
Ein Anwalt, der vor Gericht die Interessen seines Mandanten vertritt, muss nicht notwendigerweise persönlich die von ihm vertretene Meinung halten. Im Gegenteil ist es ein Zeichen der Professionalität in diesem Beruf, wenn er sich von seiner persönlichen Meinung distanzieren kann.
Ein seriöser Anwalt wird daher auch nie versuchen, sich selbst als „unabhängige Instanz“ vor Gericht einzubringen – falls doch, wäre die Unterstellung eines Motives sicher gerechtfertigt.
Umgekehrt wäre der Vorwurf an den Anwalt, er verteidige z.B. den Angeklagten nur, weil er dafür bezahlt wird, widersinnig. Der gegnerische Anwalt tut sicher das gleiche.
Ähnliches gilt auch für eine Reihe von anderen Berufsständen: z.B. für Lobbyisten oder Pressesprecher u.s.w.
Siehe auch
Weitere Informationen
- Ad Hominem (Circumstantial) auf Logically Fallacious (Englisch)
- Appeal to bias auf RationalWiki (Englisch)