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Turm‐und‐Wall Fehler

Eine Form von Denk- oder Argumentationsfehler, bei dem Konzepte oder Positionen (absichtlich oder unabsichtlich) aufgrund von unscharfen Definitionen sinnverändernd erweitert, verengt oder ausgetauscht werden.

Dieser Fehler wird häufig als eine Art von unfairer Diskussionstaktik ausgenutzt, etwa wie in dem folgenden Beispiel:

A: Die Homöopathie hat keine Wirkung über den Placeboeffekt hinaus.
B: Das kann überhaupt nicht sein, die Naturheilkunde ist eine anerkannte Disziplin der Medizin, die viele Erfolge vorzuweisen hat.

Der Begriff „Naturheilkunde“ wird als Oberbegriff für eine eine Reihe von verschiedenen alternativmedizinischen Methoden gebraucht. Dazu gehören in der Tat auch verschiedene medizinisch anerkannte Behandlungsmethoden (z.B. Hydrotherapie), aber eben auch einige, für die ein Nutzen über einen reinen Placeboeffekt hinaus, nicht nachweisbar ist. Zur letzteren Kategorie gehört eben die Homöopathie.

Dieses Beispiel zeigt eine typische Verwechslung der beiden Kategorien – wobei unklar ist, ob B dies als rhetorische Ablenkungsstrategie einsetzt, oder ob hier einfach die Bedeutungen der Begriffe verwechselt werden.

Andere Namen

  • Turm-und-Wall-Strategie
  • Motte-and-bailey (fallacy)
  • Motte-and-bailey doctrine

Namensherkunft

Der englische Begriff „motte-and-bailey “ beschreibt eine mittel­alter­liche Turm­hügel­burg (auch im Deut­schen mit dem aus dem Fran­zö­sischen ab­ge­leit­eten Begriff „Motte“ bezeichnet), bei welcher eine von einem leicht be­fes­tigten Burg­wall um­schloss­ene Vor­burg (engl. „bailey “) mit einer stärker be­fes­tig­ten, oft auf einem Erd­hügel ange­legten und meist turm­förmigen Burg (die eigent­liche „Motte“) kombiniert wurde.

Im Falle eines Angriffes konnten die Ver­teid­iger den äuß­eren Wall bei Bedarf auf­­gegeben und sich in den sehr viel leichter zu ver­teid­ig­enden Turm zurück­ziehen, von wo aus man Angreifer leicht mit Ge­schossen in Schach halten konnte.

Diese Strategie ähnelt sehr der oben be­schrieb­enen rhetorischen Dis­kuss­ions­tak­tik. Aller­dings ist der englische Begriff ohne Kennt­nisse mittel­alter­licher Fest­ungs­technik nur schwer ver­ständlich, eine direkte Über­setzung („Motte und Vorburg“) wäre wo­mög­lich sogar irre­führend, sodass hier „Turm-und-Wall“ als etwas freiere Über­setz­ung ver­wendet wird.

Beschreibung

Das wesentliche Merkmal dieses Denkfehlers ist es, dass zwei Positionen als „identisch“ verstanden werden, die sich eigentlich in wichtigen Punkten unterscheiden. Die Anwendung als rhetorische Verwirrungstaktik besteht im Ausnutzen einer solchen Verwechslung, indem man einen Angriff auf die schwächere „Wall“-Position durch eine Verteidigung aus der stärkeren „Turm“-Position kontert.

Aus Sicht des Gegners entspricht eine solche Diskussionsstrategie einem Strohmann-Argument, da dessen Position falsch wiedergegeben wird und er aus einer Position angegriffen wird, die er überhaupt nicht angegriffen hat.

Ein wichtiger Aspekt dieser Art von Verwechslung ist, dass sie eine Form von Äquivokation darstellt, da hier zwei eigentlich verschiedene Positionen gleich benannt werden. Wird diese Mehrdeutigkeit sogar absichtlich eingeführt, um den Diskussionsgegner oder ein Publikum zu verwirren, handelt es sich um eine unfaire Diskussionstaktik (Umdefinierung).

Gegenposition

Was es oft be­sonders schwer machen kann, eine solche „Turm-und-Wall“-Situa­tion zu er­kennen, ist, dass es auch im Inter­esse der geg­ner­ischen Seite sein kann, die Turm- und Wall-Positionen als identisch dar­zu­stellen, um somit vor­gegeben zu können, durch einen (ver­meint­lich oder tat­säch­lich) er­folg­reichen An­griff auf die Wall-Posi­tion auch den Turm zu Fall gebracht zu haben.

Ein Beispiel hier­für könnte man die Dis­kussion oben einfach um­drehen:

Die Homöopathie hat nach­ge­wies­en­er­maßen keine Wirkung über den Placebo­effekt hinaus.
Das zeigt, dass die gesamte Natur­heil­kunde nichts als Quack­salber­ei ist!

Auch hier gilt, dieser Schluss ist ungültig, da Homöo­pathie und Natur­heil­kunde eben nicht ident­isch sind.

Abgrenzung

Während einer Dis­kus­sion nicht mehr zu halt­ende Posi­tionen auf­zu­geben, und (meist still­schweig­end) auf solche zurück­zu­weichen, für die es solidere Argu­mente gibt, ist ein nor­maler Vor­gang und sollte nicht als un­faire Strategie miss­ver­standen werden. Man sollte es eher im Gegen­teil als ein Zeichen dafür an­sehen, dass der Gegner bereit ist, auf Ar­gu­mente ein­zugehen.

Zu einer „un­fairen Dis­kus­sions­taktik“ wird es erst, wenn die eigentlich un­halt­bare Position gerade nicht auf­gegeben wird, sondern statt­dessen vor­ge­geben wird, die Posi­tionen seien ident­isch und Ar­gu­mente für die eine Posi­tion unter­stützten auch die andere.

Erkennen und Abwehr

Das typische Merkmal dieses Denk­fehlers ist es, dass zwei Kon­zepte oder Posi­tionen mit­ein­ander ver­mischt werden, die eigent­lich unter­schieden werden sollten. Wie schon bei Äqui­voka­tionen und logischen Mehr­deut­ig­keits­fehlern gilt auch hier, dass es umso schwerer fällt, eine solche Situa­tion zu er­ken­nen, je ab­strakter und wo­möglich vager diese be­schrieben oder definiert sind.

Der erste Ansatz sollte daher stets sein, auf einer klaren De­fi­ni­tion und wenn mög­lich einem real­ist­ischen Bei­spiel zu be­stehen. Wenn sich hier­bei her­aus­stellt, dass wo­mög­lich zwei ver­schied­ene Dinge zu­sam­men­ge­worfen wurden, ist es viel­ver­sprech­end, die Unter­scheid­ung deutlich zu machen und auf unter­schied­liche Be­griffe zu bestehen.

Ein solcher Ein­wand könnte etwa wie folgt aus­sehen:

„Das sind aber jetzt zwei ver­schied­ene Dinge, die wir auch klar unter­scheiden sollten.“

Weitere Beispiele

Blockchain und Distributed Ledger

Als „Block­chain“ (Eng.: „Blöcke-Kette“) be­zeich­net man in der Infor­ma­tions­tech­no­logie eine Daten­struk­tur, bei der Blöcke von Nutz­daten mit­tels kryp­to­graf­ischer Hash­werte mit­ein­ander ver­knüpft werden. Dies dient dazu, sicher zu stellen, dass diese Nutz­daten­blöcke, nach­dem sie ein­mal er­stellt und ver­öffent­licht wurden, nicht mehr ver­änd­ert werden kön­nen, ohne die ge­samte weitere Kette un­gültig zu machen.

Ein sinn­voller An­wend­ungs­fall solcher Block­chains sind so­ge­nannte „dis­tri­buted led­gers“, frei über­setzt: „ver­teilte Kassen­bücher“, also eine Art von Konto­führung, bei der In­for­ma­tionen zu er­folgten Ein­nahmen und Aus­gaben mit mehr­eren Rech­nern in einem nicht ver­trauens­würdigen Netz­werk (etwa im Inter­net) ge­teilt werden.

Vereinfacht gesagt sorgt die Block­chain dafür, dass wenn der aktu­elle Block an Trans­akt­ionen ak­zept­iert wird, damit im­pli­zit auch alle vor­herigen Blöcke und damit die darin ent­halt­enen Trans­aktionen ak­zeptiert werden. Damit stellt die Block­chain die Kon­sis­tenz aller bis­her er­folgten Trans­aktionen sicher – und zwar auf eine Weise, die mathe­mat­isch be­weis­bar sicher ist.

Aller­dings ist die Unters­cheid­ung zwischen der Daten­strukturBlock­chain“ und der Funk­tion des „ver­teilten Kas­sen­buchs“ sehr wichtig, denn alleine da­raus, dass es mög­lich ist, eine mani­pula­tions­sichere Kette aus Daten­blöcken an­zu­legen, folgt nicht auto­mat­isch, dass diese auch auf eine mani­pula­tions­sichere Weise an alle Mit­glieder des Netz­werkes ver­teilt werden kann, oder dass auch nur alle Teil­nehmer die­selben Blöcke er­halten und ak­zep­tieren.

Mit anderen Worten: auch wenn die eigent­liche Block­chain mani­pula­tions­sicher ist, heißt das noch lange nicht, dass dies auch für den dis­tri­buted led­ger gilt – ganz zu schweigen von anderen Be­stand­teilen der „Block­chain“-Infra­struktur wie Handels- oder Mining-Platt­formen.

Diese Unter­scheidung wird aber all­zu gerne ver­waschen, in­dem das ge­samte Sys­tem mit dem Be­griff „Block­chain“ be­zeich­net wird, auch wenn diese tat­sächlich nur einen Teil­aspekt dav­on aus­macht. Eine solche Aus­weit­ung des Be­griffes er­schwert es aber, die Sicher­heit der ge­samten Imple­ment­ierung zu hinter­fragen.

In diesem Fall ent­spräche die Block­chain dem „Turm“, also der leicht zu ver­teid­ig­enden Posi­tion: Dessen krypto­graf­ischen Funk­tionen, mit denen die Daten­kon­sis­tenz sicher­gestellt wird, sind nach­weisbar sicher (zu­mind­est inner­halb be­stim­mter Rah­men­be­ding­ungen). Da­gegen stellen die anderen Be­stand­teile der Im­ple­ment­ier­ung den „Wall“ dar, der versucht, von der Sicher­heit einer Block­chain zu pro­fit­ieren, ob­wohl es sich um sepa­rate Sub­sys­teme handelt, deren Sicher­heit und Zu­ver­lässig­keit erst noch zu be­legen wäre. Ein solches Vor­gehen hat da­her Eigen­schaften einer Ver­wirr­ungs­taktik.

„Gendern“ der Sprache

Unter dem Begriff „Gendern“ versteht man u.A. einen „Geschlechter-bewussten“ Sprach­gebrauch, ins­besondere zur sprach­lichen „Sicht­bar­machung“ von Frauen (und je nach An­satz auch nicht-binären Personen).

Hierbei kommen eine Viel­zahl von unter­schied­lichen Mitteln zur An­wend­ung, die alle je­weils spezi­fi­sche Vor- und Nach­teile haben (siehe hier­zu auch: geschickt­gendern.de). Dazu gehören ins­besondere:

  1. Doppelnennungen, entweder im Satzbau („Lehrer­innen und Lehrer“, „Arzt oder Ärztin“), oder durch Schräg­strich („Arzt/Ärztin“).
  2. Neutrale Begriffe wie „Lehr­kräfte“ oder „Stu­dier­ende“, u.s.w.
  3. Anhängen der weib­lichen End­ungen, z.B. in Klammern („Lehrer(innen)“) oder mit Schräg- und Binde­strich („Lehrer/-innen“).
  4. Abwechselnder Gebrauch von männlichen und weib­lichen Formen.
  5. Binnen­kenn­zeich­nungen, u.a. durch Asterisk („Lehrer*innen“), Doppel­punkt („Lehrer:innen“), Binnen-I („LehrerInnen“) oder Trema („Lehrerïnnen“).
  6. Diminutiv­formen („das Bäcker­chen“, „s’Bäckerli“, u.ä.)
  7. Verschiedene andere Formen, die nur selten oder in spezifischen Situa­tionen ge­braucht werden, wie z.B. „SuS“ als Ab­kürz­ung von „Schüler­innen und Schüler“.

Die Form mit Asterisk (Stern­chen) wird dabei zwar von einem signi­fi­kanten Teil der Be­völker­ung ab­gelehnt, aber von den Be­für­worter­innen und Be­für­wortern dafür umso vehe­menter verteidigt. Dabei wird oft der Eindruck erweckt, wer sich gegen diese spezifische Form des „Genderns“ ausspricht, sei all­gemein gegen geschlechter­gerechte Sprache.

In diesem Fall entspräche „geschlechter­gerechte Sprache“ dem „Turm“, der eine Position re­prä­sent­iert, die leicht zu ver­teid­igen ist, und die auch breite Unter­stütz­ung geniest, während die „Sternchen-Schreib­weise“ dem Wall entspricht, von welchem in einer Diskussion schnell ab­gelenkt wird, um von der leichter zu ver­teid­ig­enden Position aus zu argu­ment­ieren.

Dies wird zu einer „unfairen Dis­kuss­ions­taktik“, wenn diese beiden Posi­tionen als ident­isch vor­ge­geben werden, wenn also so getan wird, als ob jeder, der sich gegen das sog. „Gender-Stern­chen“ aus­spricht, auch gegen Gendern an sich sei. Dies ist aber in den seltensten Fällen so: sehr viele, die Binnen­kenn­zeich­nungen in den Wörtern ab­lehnen, haben keine Probleme mit Doppel­nenn­ungen oder den neutralen Aus­drücken, wo diese sinn­voll ein­ge­setzt werden. Auch der Initial­ausdruck „SuS“ ist z.B. in der Lehrer­schaft längst akzeptiert und weit verbreitet.

Auch hier wird diese Strategie wiederum dadurch noch leichter gemacht, dass es auch Gegner des „Genderns“ gibt, welche die gleiche Ver­wechs­lungs­stra­te­gie ver­suchen, und jede Form von ge­schlechts­neutraler Sprache mit dem „Gender-Stern­chen“ gleich­setzen. So werden etwa Um­frage­ergeb­nisse, welche zeigen, dass „Gender-Stern­chen“ weit­est­geh­end ab­ge­lehnt werden, so inter­pret­iert, als sei der Groß­teil der Be­völkerung gegen das „Gendern“ an sich.

Siehe auch

Lernmaterialien

Weitere Informationen

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