Kontinuumsirrtum
Die (fälschliche) Ablehnung von Kategorisierungen da die beschriebenen Variationen auch als Kontinuum beschrieben werden können.
Als Beispiel das folgende, auch als „Haufenparadox“ bekannte Gedankenspiel:
Ein Sandkorn alleine ist noch kein Sandhaufen.
Zwei Sandkörner sind auch noch kein Sandhaufen.
Für jede Zahl von Sandkörnern, für die gilt, dass sie noch keinen „Haufen“ ausmacht, könnte man argumentieren, dass ein weiteres Sandkorn auch noch keinen Unterschied ausmacht.
Egal wie oft man jeweils noch ein Sandkorn hinzufügt, ist es jeweils schwer zu argumentieren, man habe nun einen „Haufen“, während man zuvor doch noch keinen gehabt habe.
Dennoch gibt es eine Menge von Sandkörnern, die von den meisten als „Sandhaufen“ erkannt werden würde.
Zwischen den beiden Zuständen „kein Haufen“ und „Haufen“ existiert ein Kontinuum, bei dem es keine scharfe Unterscheidungslinie zwischen den Kategorien gibt. Dennoch beschreiben diese Zustände reale Phänomene und sollten daher auch unterschieden werden.
Andere Namen
- Sorites-Irrtum (Haufenparadoxon)
- Continuum fallacy
Beschreibung
Finden sich Kategorien innerhalb eines Kontinuums und ist die Abgrenzung der Kategorien unscharf oder uneinheitlich, kann es schwierig sein, zu bestimmen, wo eine Kategorie aufhört bzw. die andere anfängt. Zu einem Denkfehler wird dies, wenn man daraus ableitet, dass die Kategorien deswegen nicht existierten oder irrelevant seien.
Vermeidungsstrategien
In vielen Fällen kann es sinnvoll sein, einen „Graubereich“ zu erlauben, in dem man einfach akzeptiert, dass die Festlegung nicht so einfach möglich ist. Allerdings kann sich hieraus wieder das Problem ergeben, die Grenzen dieses Graubereiches definieren zu müssen. In diesem Fall hat man das Problem also nur verschoben.
Wenn eine klare Grenze notwendig ist, kann diese von einer Autorität festgelegt werden. Ein Beispiel für diesen Ansatz ist die Festlegung der Volljährigkeit zu einem bestimmten Stichtag (bei uns der 18. Geburtstag). Auch dies kann aber wieder zu Problemen führen, wenn diese Regel nicht alle Sonderfälle und Ausnahmen abbildet (Akzidensfehler).
Einschränkungen
Zwischen zwei Variationen auf einem Kontinuum kann es weitere sinnvolle Unterteilungen geben: zwischen Weiß und Rot gibt es Rosa – und auch noch dutzende andere Farbnuancen, wie Pink, Altrosé, u.s.w., die vielleicht nur in bestimmten Kontexten sinnvoll sein können (Falsches Dilemma).
Weitere Beispiele
Obwohl die Standardbeispiele für diesen Fehler eher trivial und wenig belangreich erscheinen, sind ähnliche Kontinuitäten in der gesellschaftlichen Diskussion nicht gerade selten und werden oft kontrovers diskutiert. Insbesondere wenn es nötig ist, Grenzen festzulegen, welche den Übergang definieren.
Verschiedene Grade von Wissenschaftlichkeit
Argumentationen wie die folgende kann man häufig hören, wenn jemand eine eigene (meist unwissenschaftliche) Theorie zu verteidigen versucht:
Auch die Wissenschaft kann niemals perfekte Erklärungen liefern.
Deswegen ist meine Theorie genauso gut wie die der Wissenschaften.
Es ist richtig, dass ein wesentlicher Teil der wissenschaftlichen Arbeit darin besteht, auch etablierte Positionen immer wieder zu hinterfragen und niemals davon auszugehen, dass irgendein Wissensbereich „ausgeforscht“ sei. Gerade durch dieses Hinterfragen hat sich die Wissenschaft immer weiter entwickelt und kann heute in den meisten Fällen recht gute Erklärungsmodelle für viele Phänomene anbieten – niemals aber „perfekte“.
Im Prinzip spricht auch wenig dagegen, wenn neue Theorien von außerhalb des Wissenschaftsbetriebes vorgebracht werden – auch wenn sich in der Tat einige Wissenschaftler oftmals etwas schwer damit tun. Tatsächlich gibt es viele Beispiele dafür, dass Außenstehende wichtige Fortschritte in den Wissenschaften auslösten.
Daneben muss man aber auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass eine neue Theorie – gerade wenn sie von außerhalb des Fachbereiches kommt und womöglich von jemandem, der die gesamte Komplexität des Themas nicht wirklich einschätzen kann, auch schlicht und einfach hanebüchener Unsinn ist. Diese Möglichkeit bildet sozusagen das andere Ende des Kontinuums.
Alleine anhand der obigen Aussage kann man nicht festmachen, ob die vertretene Position eher auf der „wissenschaftlichen“ oder der „unsinnigen“ Seite dieses Kontinuums steht. Wenn der Vortragende es aber nötig findet, zu solchen rhetorischen Tricks zu greifen, um seine Position zu verteidigen, wirft zunächst aber kein gutes Licht auf die vertretene Position.
Einordnung im politischen Spektrum
Betrachtet man das politische Spektrum als eine Kontinuität von Links bis Rechts (was übrigens eine stark vereinfachende Kategorisierungsmethodik ist, die nicht in jedem Fall sinnvoll ist), so findet man einige Extremisten beiderlei Ausrichtung an den Enden des Spektrums und der weitaus größte Teil der Bevölkerung in der Mitte zwischen diesen beiden Polen.
Da es keine klar definierten Punkte gibt, an denen spezifische Bezeichner (u.a. „linksextrem“, „sozialdemokratisch“, „sozialliberal“, „neoliberal“, „konservativ“, „rechtsextrem“, u.s.w.) beginnen und enden, könnte man zu dem Schluss kommen, dass es gar keine Unterscheidung gibt – und einfach jede Einstellung, die eher links von der eigenen Position steht als “Linksradikal” bezeichnen (gerne als „Kommunisten“ oder „Anarchisten“ verunglimpft), bzw. alles was rechts von einem selbst steht als „Rechtsradikal“ (entsprechend dann „Nazi“ oder „Faschist“ als Verstärkungsformen).
Tatsächlich hat jemand, der im konservativen Bereich des politischen Spektrums steht, gewöhnlich wenig Sympathien für Nazis gemein, ebenso wenig wie ein Sozialdemokrat unbedingt dem Kommunismus oder gar Anarchismus nahe stehen muss.
Übergang vom Zellhaufen zum Embryo
Eine befruchtete Eizelle teilt sich und bildet zunächst eine Zellgruppe, aus der sich schließlich ein Embryo entwickelt. Bis zu welcher Stelle es sich dabei um einen bloßen „Zellhaufen“ bzw. ab wann es sich um ein menschliches Embryo handelt, kann dabei aber nicht eindeutig bestimmt werden.
In diesem Kontext wird deutlich, dass alleine aus der Annahme, dass es keinen eindeutig bestimmbaren Übergang von einem Zustand zum anderen gibt, nicht der Schluss gezogen werden kann, dass es keinen solchen Übergang gäbe.
Diese Frage ist aber von zentraler Bedeutung für die moralische und rechtliche Einschätzung von Schwangerschaftsabbrüchen. Es ist daher wichtig, dass dieses Thema unvoreingenommen diskutiert werden kann.
Siehe auch
Weitere Informationen
- Continuum fallacy auf Wikipedia (Englisch)
- Sorites Paradox auf Stanford Encyclopedia of Philosophy (Englisch)
- The Fallacy of the Heap auf Fallacy Files (Englisch)
- Continuum fallacy auf RationalWiki (Englisch)