Amphibolie
Eine besondere Form der Äquivokation ist die Amphibolie. Damit beschreibt man eine Mehrdeutigkeit in der Struktur oder Grammatik der Aussage.
Zum Beispiel:
„Der Mann sah die Frau mit dem Fernglas.“
Dieser Satz kann auf unterschiedliche Weisen interpretiert werden: entweder benutzt der Mann das Fernglas, oder die Frau.
Eine Variante der Amphibolie wiederum ist die Prosodie, bei der sich die Bedeutung verändert, je nachdem, wie eine Aussage betont wird.
Ein weiteres Beispiel – von einem Schild auf dem Bahnhofsvorplatz von Limburg:
„Dieser Bereich wird zur Vermeidung von Straftaten durch die Polizei videoüberwacht.“
Allerdings sind zumindest im Deutschen Amphibolien und Prosodien häufig kaum unterscheidbar. Das kann in anderen Sprachen anders sein.
Syntaktische Ambiguität
Während die Beispiele oben eher aus einer humoristischen Perspektive interessant sind, werden grammatikalischen Mehrdeutigkeiten im politischen und gesellschaftlichen Diskurs erstaunlich häufig gebraucht, um – entweder aus Unkenntnis oder mit Absicht – vage zu bleiben.
Dabei fällt vor allem eine Form von mehrdeutigen Aussagen auf, die immer wieder in verschiedenen Variationen zu hören, bzw. zu lesen ist:
Generische Verallgemeinerungen
Dieser Begriff beschreibt eine ganze Klasse von Aussagen, bei denen die Mehrdeutigkeit in der Satzstruktur versteck ist, kann man als Aussagen der Form „𝑋 tun/sind 𝑌 “ zusammenfassen.
Ein (eher harmloses) Beispiel für eine solche Aussage wäre:
„Engländer sind Teetrinker.“
Dabei fällt auf, dass dies zwar einer kategorischen Aussage ähnelt, jedoch der Quantifikator (z.B. „alle“ oder „einige“) fehlt. Daher wissen wir nicht, was mit einer solchen Aussage wirklich gemeint ist:
„Alle Engländer sind Teetrinker.“
Dies wäre sicher eine starke Aussage, dafür ist sie mit großer Wahrscheinlichkeit falsch. Sicherlich gibt es wenigstens ein paar Engländer, die keinen Tee mögen.
„Einige Engländer sind Teetrinker.“
Dies ist sicher wahr, aber auch wenig aussagekräftig: Wieviele Teetrinker gibt es in England? Ein paar Dutzend, oder ist es nahezu jedermann?
Es gibt auch noch weitere Möglichkeiten, diese Aussage zu interpretieren, etwa als „Tee zu trinken ist ein typisches Merkmal von Engländern“ (heißt das, andere Völker trinken keinen Tee?) oder „ein vergleichsweise hoher Prozentsatz von Engländern trinkt gerne Tee“ (höher als wo?)
Die Fragen fangen hiermit erst an: ist Teetrinken typisch für Engländer, also etwas, was sie von allen anderen Völkern unterscheidet, oder ist es nur verbreiteter als das Kaffeetrinken? Und so weiter …
EIne solche Mehrdeutigkeit ist natürlich relativ harmlos, wenn es um bevorzugte Heißgetränke geht – aber man muss nicht weit schauen, um ähnliche mehrdeutige Aussagen im politischen Diskurs zu finden, die mit weit weniger harmlose Aussagen spielen:
Ausländer sind Kriminelle.Juden sind Brandstifter.Muslime sind Terroristen.Politiker sind korrupt.Reiche zerstören die Umwelt mehr als der Rest der Bevölkerung.Boomer nehmen jungen Leuten den Wohnraum weg.Die Medien verbreiten Lügen.- u.s.w.
Mit Sicherheit wird man auch problemlos anekdotische Belege für jede dieser Aussagen finden, ebenso wie man jede davon auch leicht durch Gegenbeispiele widerlegen kann.
Der Reiz an solchen Aussagen im politischen Diskurs ist aber gerade, dass man je nach Situation auf die eine oder andere Interpretation ausweichen kann. Mehr hierzu aber unter dem Themenbereich Substitution.