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Argument aus Nichtwissen

Bezeichnet ein Scheinargument, bei dem unter Umkehrung der Beweislast aus der Abwesenheit von Beweisen auf Fakten geschlossen werden soll.

Das folgende Beispiel ist auch unter dem Namen „Russells Teekanne“ bekannt:

Es kann nicht bewiesen werden, dass im Weltall keine Teekanne existiert, die um die Sonne kreist.
Daraus folgt, dass eine solche Teekanne existiert.

Daraus, dass kein Beweis für die Nichtexistenz existiert (oder bekannt ist), kann man keinen Beweis für die Existenz ableiten. Zusätzlich liegt hier die Beweislast bei demjenigen, der eine solche Aussage tätigt, was noch schwerer wiegt, als ein negativer Existenzbeweis (sprich: die Nichtexistenz) besonders schwer bis un­möglich zu erbringen ist.

Andere Namen

  • (Argumentum) ad ignorantiam
  • Argument from ignorance
  • Appeal to ignorance
  • Burden of proof fallacy
  • Ex nihilo, nihil (fit ) – Lat.: „aus nichts (folgt) nichts“
  • Oudén ex oudenós [Οὐδὲν ἐξ οὐδενός] – Altgr.: „nichts [folgt] aus nichts“

Beschreibung

Ein Argument aus Nichtwissen ähnelt dem Argu­mentum ad Logicam, in­so­fern als bei beiden ein Schluss auf­grund der Ab­wesen­heit eines Argu­mentes aufgestellt wird.

Der Unterschied ist, dass beim Argu­mentum ad Logicam aus einem widerlegten Beweis das Gegenteil geschlossen wird, während hier über­haupt keine oder unzu­reichende Beweise als Grundlage für das Argument her­ge­nom­men werden.

Dabei ist die Frage nach der Beweislast ausschlaggebend: es handelt sich nur um ein ungültiges Argument, wenn es entgegen der Beweislastrichtung angewandt wird (mehr dazu unten im Abschnitt „Gerechtfertigte An­wendung“).

Denkfehler

Das Argument aus Nichtwissen ist nicht nur als Scheinargument bedeutend, sondern es ist auch eine wichtige Form von Denk­fehler. Ins­besondere wenn er darin besteht, dass man davon ausgeht, dass Dinge oder Sach­verhalte, über die wir kein Wissen haben, nicht existent seien (siehe: Epistemische Fehl­annahme)

Gleichstellung von Nichtwissen mit Wissen

In einer etwas schwächeren Form dieses Fehlargumentes wird oft versucht, einen nicht bewiesenes oder gar nicht beweisbares Argument als einem akzeptierten gleichwertig darzustellen, meist indem deutlich ver­schie­dene Grade der Gewissheit einfach gleichgesetzt werden (siehe auch Kon­tinu­ums­irrtum).

Die folgende Argumentation etwa wird in verschiedenen Variationen gerne von sog. Impfgegnern gebraucht:

Niemand kann zu 100 % beweisen, dass Impfungen keine negative Nebenwirkungen haben.
Also ist es durchaus möglich, dass Impfungen doch Schäden hervorrufen können.
(deswegen ist es zu rechtfertigen, wenn Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen)

Wie im Beispiel mit der Teekanne ist es praktisch unmöglich, die Nichtexistenz von irgendetwas zu beweisen – daher kann auch niemand einen endgültigen Beweis antreten, dass Impfungen garantiert keine Folge­schä­den haben werden. Was bewiesen werden kann, ist, dass mögliche Schäden der Impfung ver­nach­lässig­bar sind, im Verhältnis zu den Schäden, die entstehen können, wenn nicht geimpft wird.

Meist wird so eine Gegenüberstellung aber mit der Absicht erwähnt, beide Positionen als gleich­wertig dar­zu­stellen: weder gäbe es 100%ige Sicherheit für die Unbedenklichkeit von Impfungen, noch könne man zu 100 % sagen, dass Nicht-Impfen seines Kindes zwangsläufig zu einem Schaden führen würde.

Dies ist aber nur legitim, wenn die Wahrscheinlichkeiten, dass negative Ereignisse eintreten (hier Krank­heits­fall gegenüber Impf­schaden) als auch der mögliche Schaden (schwere Erkrankungen bis hin zu Lähm­ung oder sogar Tod) gegenüber gestellt werden. Ebenso wie mögliche Schäden, die hiermit anderen zugefügt werden.

Gerechtfertigte Anwendung

Es gibt bestimmte Situationen, in denen man aus Nichtwissen gültige Schlüsse ziehen kann:

Gebrauch mit der Beweislast

Die wichtigste Bedingung dafür, wann ein solches Argument als Fehlargument anzusehen ist, besteht in der Frage nach der Beweislast. Nur wenn es mit einer Um­kehr­ung der Beweis­last einhergeht, ist es ein Fehl­argu­ment. Wird es dagegen mit der Beweislast angebracht, ist es prinzipiell als gültiges Argument anzusehen.

Zum Beispiel:

A: Mein Gegner ist korrupt und wird von der Mafia geschmiert. Beweisen Sie mir das Gegenteil!
B: Solange Sie für diese Behauptung keine Beweise vorlegen, gehe ich eher davon aus, dass dies nicht der Fall ist.

Offensichtlich wäre A hier in der Beweislast, d.h. er müsste beweisen, dass seine Beschuldigungen wahr sind. Kann (oder will) er diese nicht vorlegen, sollte man seine Anschuldigungen eher ignorieren (oder ihn gar wegen übler Nachrede verklagen!)

Ähnliches gilt auch in der Wissenschaft, wo die Frage nach der Beweislast allerdings nicht immer so einfach zu beantworten sein kann. Dies ist ein komplexes Thema, das außerhalb des Themenbereiches dieser Site liegt. Es sei nur auf den Grundsatz hingewiesen, dass derjenige, der „große“ Behauptungen aufstellt, dafür auch „große“ Beweise vorlegen muss – Daraus folgt zumindest, dass derjenige, der eine Position vertritt, die im Wider­spruch zum wissenschaftlichen Konsens steht, dafür in der Beweislast steht.

Vor Gericht

In modernen Rechtssystemen gilt, dass dem Angeklagten das Verbrechen nachgewiesen werden muss und er nicht umgekehrt seine Unschuld zu beweisen hat.

Wenn also die Beweislast bei Ankläger (bzw. der Staatsanwaltschaft) liegt, kann der Verteidiger mit Recht sagen:

Die Staatsanwaltschaft konnte nicht beweisen, dass mein Mandant schuldig ist,
also ist er unschuldig.

Es liegt dabei natürlich am Ende am Richter, zu entscheiden, ob die Beweise der Staatsanwaltschaft un­zu­reich­end waren.

Argumentum ex Silentio

Als Argumentum ex silentio (Argument aus Schweigen) bezeichnet man in den Geschichts­wissen­schaften und der Rechtsprechung bestimmte Situationen, in denen aus der Ab­wesenheit von Be­weisen oder Regeln gültige Schlüsse gezogen werden können.

Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Sachverhalt im Gesetzen nicht erwähnt wird und es Gründe gibt, an­zu­nehmen, dass dies mit Ab­sicht so ist.

Ebenso kann in den Geschichts­wissen­schaften die Ab­wesen­heit von Quellen zu einem Ereignis als Hinweis darauf gedeutet werden, dass dieses Er­eig­nis ver­mutlich nicht statt­gefunden hat, vor­aus­gesetzt, dass es Gründe dafür gibt, an­zu­nehmen, dass diese an­sonsten ex­is­tieren müssten.

Weitere Beispiele

Existenz Gottes

Ein beliebtes Schein­argu­ment aus dem Bereich der Religion könnte man wie folgt formu­lieren:

Es hat noch niemand beweisen können, dass Gott nicht existiert.
Folglich existiert Gott.

Da in solchen Fragen un­klar ist, auf welcher Seite die Beweis­last ruht, kann man dies auch um­drehen:

Es hat noch niemand beweisen können, dass Gott existiert.
Folglich existiert Gott nicht.

Weder aus der einen noch aus der anderen For­mu­lier­ung er­gibt sich irgen­dein (sach­licher) Er­kennt­nis­gewinn. Zumindest keiner zur Ex­ist­enz oder Nich­texis­tenz Gottes (Argu­mentum ad Logicam ).

Fehlendes Feedback

Eine häufig gehörte Form des „Argumentes aus Nichtwissen“, die darauf beruht, dass es kein negatives Feedback gibt, also alles in Ordnung sein muss, könnte etwa wie folgt formuliert werden.

Wir haben kein negatives Feedback zum Service in unserem Restaurant gehört.
Also ist der Service gut.

Wahrscheinlicher ist es, dass Gäste, die nicht mit dem Service zufrieden sind, „mit den Füßen abstimmen“ und einfach nicht mehr wiederkommen. Dieser Effekt wird im Artikel zur Schweigeverzerrung näher erklärt.

Siehe auch

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