Ökologischer Fehlschluss
Beschreibt einen Fehlschluss, bei dem ein statistisches Merkmal unzulässig auf ein niedrigeres Aggregationsniveau übertragen wird, als das, auf welches es sich tatsächlich bezieht.
Dies kann zum Beispiel in Form eines (fehlerhaften) statistischen Syllogismus geschehen, so wie hier:
80 % aller Personen, die aus Skandinavien kommen, sind blond.
Björn kommt aus Skandinavien.
Daraus folgt: Björn ist blond.
Wir wissen natürlich nicht, ob Björn nicht vielleicht zu den 20 % nicht-blonden Skandinaviern gehört, daher ist der Schluss in dieser Form nicht gültig.
Andere Namen
- Gruppenfehlschluss
- Ecological (inference) fallacy
- Population fallacy
Beschreibung
Statistische Kennzahlen sind stets Vereinfachungen der zugrunde liegenden Daten. Reduziert man komplexe Sachverhalte auf einen oder auf wenige Kennzahlen, lassen sich diese leichter verstehen, kommunizieren oder auch vergleichen. Man verliert damit aber auch Informationen, insbesondere zu den Daten, die über Individuen vorliegen.
So ist etwa die Kriminalitätsrate einer Stadt ein sinnvolles Maß, um diese über einen Zeitraum oder gegenüber anderen Städten vergleichen zu können. Sie ist nicht hilfreich, um Informationen über Individuen oder Untergruppen (z.B. Stadtviertel) aus dieser Stadt zu erhalten.
Der Fehler besteht nun genau darin, eine solche Kennzahl, die auf ein höheres Aggregationsniveau verweist, auf ein niedrigeres Niveau zu übertragen. Hier also: indem vermutet wird, die Kriminalitätsrate der Stadt erlaube auch eine Aussage über Individuen, die in dieser Stadt leben.
Abgrenzung
Spezifisch für diesen Denkfehler ist, dass er sich auf statistische Kennzahlen bezieht. Dagegen bezieht sich der mereologische Fehlschluss auf das Verhältnis zwischen einem System als Ganzes und dessen (funktionaler) Bestandteile. Der Trugschluss der Division schließlich bezieht sich spezifisch auf Übertragungen, die sich aus dem Phänomen der Emergenz ergeben.
Nicht immer ist es aber einfach, zwischen all diesen zu unterscheiden. Oft gibt es auch Situationen, die mehrere Kategorien fallen könnten. In manchen Quellen werden diese Fehler daher auch alle einfach als Synonyme zueinander behandelt.
Einordnung
Dieser Fehlschluss steht hier unter „Interpretationsfehler“ im Bereich Statistik, da dessen wesentliches Merkmal darin besteht, eine (korrekte) statistische Aussage falsch zu interpretieren und daraus ungültige Schlüsse zu ziehen.
Man kann dies auch als eine Form von unzulässiger Verallgemeinerung verstehen, da hier aufgrund von unzureichenden Informationen auf eine verallgemeinernde Aussage geschlossen wird.
In der Logik beschreibt der Trugschluss der Division einen sehr ähnlichen Sachverhalt, jedoch spezifisch auf eine Nichtbeachtung des Phänomens der Emergenz bezogen. Allerdings könnte man argumentieren, dass die Maße der deskriptiven Statistik grundsätzlich als emergente Eigenschaften von Gruppen verstanden werden sollten.
Und schließlich hat der ökologische Fehlschluss oft auch Aspekte eines Akzidensfehlers, nämlich dann, wenn nicht beachtet wird, dass eine Regel oder Aussage, die im Allgemeinen gilt, auch begründete Ausnahmen haben kann.
Gültige Anwendung
In Situationen, in denen ganz einfach keine besseren Daten verfügbar sind, können Übertragungen von höheren Aggregationsniveaus als Basis für Heuristiken brauchbar sein, also als eine einfache Methode, die zwar keine „perfekten“, aber doch zumindest „gut genuge“ Ergebnisse hervorbringt. Man sollte sich dann aber natürlich über die Einschränkungen, die solche heuristischen Methoden mit sich bringen, im Klaren sein.
Beispiele
Ökonomische Maßzahlen
Eine wichtige statistische Größe, die immer wieder zu Fehlinterpretationen führt, ist die Inflationsrate. Diese beschreibt die durchschnittliche Veränderung der Verbraucherpreise, meist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und sie kann in diesem Sinn gleich auf zwei verschiedene Weisen falsch verstanden werden:
Zum einen bedeutet die veröffentlichte Inflationsrate nicht, dass sich alle Waren gleichermaßen um diesen Prozentsatz verteuern. Einige Produkte oder Produktgruppen können deutlich höhere, andere deutlich niedrigere Preissteigerungen aufweisen – einige Produkte können sogar gegen den Trend billiger werden.
Daher sind selektive Vergleiche im Stil von „der Preis für Produkt X ist seit letztem Jahr aber mehr als die offizielle Inflationsrate gestiegen“ wenig aussagekräftig. Noch weniger natürlich, wenn damit suggeriert werden soll, dass die offizielle Statistik unrichtig oder gar manipuliert sei (siehe: „Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“).
Zum anderen bedeutet die allgemeine Inflationsrate für ein Land auch nicht, dass diese identisch zur individuellen Inflationsrate sei, welche eine spezifische Person, Personengruppe oder auch ein bestimmter Wirtschaftssektor erfährt. Letztlich unterscheidet sich jedes individuelle Konsumprofil – einschließlich der unterschiedlichen Möglichkeiten, auf Substitutionsgüter auszuweichen – was dann auch zu sehr unterschiedlichen individuellen Inflationsraten führt.
So kann eine Lohnerhöhung, die sich an der landesweiten Inflationsrate orientiert, für manche zu einem realen Kaufkraftverlust führen, wärend andere womöglich sogar an Kaufkraft gewinnen.
In beiden Fällen liegt ein ökologischer Fehlschluss vor, wenn die allgemeine Teuerungsrate auf eine andere Ebene übertragen wird – sei es auf Individuen oder Bevölkerungsgruppen, sei es auf spezifische Produkte bzw. Produktgruppen.
Ähnliches kann man auch auf andere ökonomische Maße übertragen. Zum Beispiel ist die sogenannte Kaufkraftparität (engl.: „purchasing power parity“, PPP), ein Faktor, um denn sich die Kaufkraft in verschiedenen Volkswirtschaften, oder in verschiedenen Zeiträumen innerhalb einer Volkswirtschaft, unterscheidet. Dabei handelt es sich aber stets um einen Durchschnittswert für die gesamte Volkswirtschaft. Es ist leicht nachvollziehbar, dass sich der Kaufkraftwert etwa für Produkte der lokalen Landwirtschaft stark von dem etwa für High-Tech Rüstungsgüter unterscheidet. Daher sollte auch dieser Wert nicht uneingeschränkt auf einzelne Produkte oder auch nur Produktgruppen übertragen werden.
IQ-Unterschiede von Bevölkerungsgruppen
Eine ganze Reihe von Missverständnissen betrifft die Unterschiede zwischen normalverteilten Merkmalen. Als Beispiel soll dies hier anhand des sogenannten „Intelligenzquotienten“ (IQ) aufgeführt werden:
Es werden immer wieder Vergleiche von IQs zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen (z.B. aufgeschlüsselt nach Berufsgruppen, Herkunftsländern, Parteipräferenzen, Medienkonsum, u.s.w) veröffentlicht. Solche Vergleiche haben oft zumindest gewisse Aspekte von Emotionsapellen oder von Selbstüberhebungen, weswegen sie auch gerne auf sozialen Medien weiter verbreitet werden. Wer möchte schon nicht gerne glauben, dass eine Gruppe, der man sich selbst zugehörig fühlt, intelligenter sei als andere …
Dabei sind solche Vergleiche bei weitem nicht immer so harmlos wie etwa bei Berufs- oder Studienfachvergleichen. So werden Untersuchungen, nach denen die durchschnittlich ermittelten IQs von afro-amerikanischen Bevölkerungsgruppen in den USA niedriger sind, als die der europäisch- oder asiatisch-stämmigen Bevölkerung immer wieder als vermeintlich „wissenschaftliche“ Begründung für rassistische Diskriminierung herangezogen. Spätere Studien, welche diese Ergebnisse widerlegen, werden dabei gerne ignoriert.
Es würde zu weit führen, alle Probleme solcher Vergleiche hier aufzuzählen. Spezifisch für das Thema dieses Artikels wäre ein Schluss von unterschiedlichen Durchschnittswerten auf unterschiedliche Intelligenzen der Gruppenmitglieder jedoch ein sehr gutes Beispiel für einen ökologischen Fehlschluss. Kurz gesagt: auch in der „intelligentesten“ Gruppe gibt es immer mehr oder weniger intelligente Individuen.
Da der IQ per Definition normalverteilt ist, könnte man die Überschneidung der Merkmalsverteilungen in den beiden Gruppen im Prinzip sogar genau berechnen. Der Aufwand dafür lohnt sich allerdings eher nicht, da die Werte auch noch ziemlich ungenau sind und eine Unterscheidung meist ohnehin nur möglich ist, wenn man diese mit einer irreführenden Genauigkeit nennt. In den meisten Fällen ist der Überlappungsbereich zwischen den beiden Populationen jedoch so groß (siehe Abbildung), dass man kaum eine sinnvolle Erkenntnis daraus ableiten kann.
Unter keinen Umständen kann man aus solchen Durchschnittswerten von Gruppen irgendwelche Schlüsse auf den IQ von Individuen ziehen. Noch weniger übrigens auf deren Intelligenz, was nicht unbedingt dasselbe ist (Semiotischer Irrtum).
Siehe auch
Lernmaterialien
Weitere Informationen
- Ecological fallacy auf Wikipedia (Englisch)
- Ecological fallacy auf Encyclopedia Britannica (Englisch)
- Ecological Fallacy auf Logically Fallacious (Englisch)