Prävalenzfehler
Fehlerhafte Einschätzung der Bedeutung von statistischen Ergebnissen, die daher rührt, dass die Prävalenz (Basisrate) nicht beachtet wird.
Beispiel:
Nach Behandlung mit Medikament X ist in einem von 20 Fällen der Krebs völlig verschwunden.
Nach dieser Aussage erscheint es so, als gäbe es eine Korrelation (womöglich sogar einen Kausalzusammenhang!) zwischen der Behandlung mit Medikament X und dem Verschwinden der Krebsgeschwüre.
Stellt man es dagegen in Zusammenhang mit der folgenden Aussage:
Die Wahrscheinlichkeit dass diese bestimmte Form von Krebs auch ohne Behandlung vom Körper selbst geheilt wird, liegt bei 5 %.
… wird klar, dass das Medikament völlig wirkungslos ist. Die „Erfolgsrate“ des Medikamentes ist nämlich genau identisch mit der Basisrate, also hier die Wahrscheinlichkeit, dass sich der „Erfolg“ auch ohne Medikamenteneinnahme eingestellt hätte.
Andere Namen
- Basisratenfehler
- Basislinienfehler
- Base rate fallacy
- base rate neglect
- base rate bias
Beschreibung
Die Basisrate oder Prävalenz, also die zu erwartende Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Merkmal auftreten wird, ist nicht immer leicht zu bestimmen. Dies wird in den Beispielen unten verdeutlicht.
Allerdings ist diese auch wichtig, um überhaupt eine Aussage darüber treffen zu können, ob die Beobachtung eine Relevanz haben.
Wird die Basisrate nicht beachtet, oder – was erstaunlich häufig vorkommt – falsch berechnet, kann darauf keine sinnvolle Analyse aufgebaut werden.
Bayes-Falle
Ein Beispiel für Situationen, in der die statistischen Erwartungswerte auf besonders perfide Weise in die Irre führen können, sind die sogenannten „Bayes-Fallen“: hierbei wird eine eigentlich bekannte Wahrscheinlichkeitsverteilung auf zwei Gruppen angewandt, die sich aber in der Größe stark unterscheiden.
Dabei kann dieser Größenunterschied dazu führen, dass die Ergebnisgrößen auf unintuitive Weise stark verzerrt sind. Anders gesagt: 0,1 % von einer Million ist um eine Größenordnung mehr als 99,9 % von 100.
Für mehr Informationen hierzu, siehe den Artikel Bayes-Falle.
Beispiele
XKCD: 90 % aller Prävalenzfehler werden von Rechtshändern begangen
Eine der vermutlich einleuchtendsten Erklärungen für diesen Statistikfehler dürfte von Randall Munroe stammen, der in einem seiner XKCD Comics (siehe Abbildung) die folgende Aussage illustriert:
Remember, right-handed people commit 90 % of all base rate errors.
(Denk daran, Rechtshänder begehen 90 % aller Prävalenzfehler)
Je nachdem wie man die Händigkeit misst, sind etwa 10 bis 15 % der Bevölkerung Linkshänder, der Rest entsprechend Rechtshänder. Wenn die Verteilung von Prävalenzfehlern auf diese beiden Gruppen genau dies widerspiegelt, entspricht dies genau dem Erwartungswert, zeigt also kein statistisch signifikantes Ergebnis auf.
Messung von Impfnebenwirkungen
Während der sogenannten „vierten Welle“ der Covid-19 Pandemie, also im Winter 2021/2022, wurden verschiedene Studien veröffentlicht, welche überraschend hohe Raten an schweren Impfnebenwirkungen zu zeigen schienen.
Solche Studien wurden dann in Sozialen Medien oft weiter verbreitet, ohne den Kontext oder die Einschränkungen der Methodiken klar zu stellen. Oft wurden dabei auch noch die Begriffe verwechselt: ein „unerwünschtes Ereignis nach der Impfung“ ist nämlich nicht dasselbe wie eine „Impffolge“ – unter ersteres fiele es nämlich auch, wenn ein Probant nach der Impfung bei einem Skiunfall einen Knochenbruch erleidet (siehe Korrelationsirrtum).
Während der Knochenbruch aber recht leicht erkennbar keine kausale Folge der Impfung ist, gibt es eine Reihe von anderen „unerwünschten Ereignissen“, die sich nicht so leicht zuordnen lassen. Was, wenn ein Patient nach der Impfung Migräne oder Lymphknotenschwellungen bekommt?
Der einfachste Weg, eine „Basisrate“ zu finden, ist es, die Zahlen von tatsächlich geimpften Probanden mit denen von ungeimpften (bzw. im Rahmen einer Studie: solchen, die ein Placebo erhalten haben) zu vergleichen. Wenn es somit bei 0,6 % der Geimpften zu „unerwünschten Ereignissen“ kommt, jedoch auch bei 0,5 % der Kontrollgruppe, dann liegt das Risiko einer unerwünschten Impfnebenwirkung eben bei 0,1 % und nicht bei 0,6.
Aber spätestens wenn wir anstatt einer kontrollierten Studie die Zahlen der geimpften Bevölkerung betrachten, haben wir weder eine zufällige Aufteilung in Geimpfte und Ungeimpften, noch eine kontrollierte Umgebung, in der alle den gleichen Risiken von „unerwünschten Ereignissen“ aussetzt sind.
So kann man z.B. davon ausgehen, dass Personen mit höherem Erkrankungsrisiko häufiger (und früher) geimpft wurden als solche, die ansonsten eher gesund sind. Ebenso ist es vorstellbar, dass viele, die nach monatelangem „Lockdown“ endlich ihre Impfung erhalten haben, sich dann umso eher riskanten Situationen aussetzten, wie Konzert- oder Restaurantbesuche u.s.w.
Mit anderen Worten: eine sinnvolle Basisrate zu errechnen ist sehr viel komplizierter, als das mitunter dargestellt wird. Alleine die Zahl der „unerwünschten Ereignisse“ ist jedenfalls kein gutes Maß, um auf die Prävalenz von Impfnebenwirkungen zu schließen.
Wirksamkeit von Medikamenten
Ähnlich schwierig ist es, einen Vergleichswert für die Effektivität von Medikamenten zu finden: auch hier gibt es zahlreiche Faktoren, welche den Krankheitsverlauf beeinflussen können – nicht zuletzt eben, dass es auch immer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit „von alleine“ (bzw. durch das Immunsystem) zu einer Heilung, oder zumindest einer Verbesserung der Situation kommen kann.
Darüber hinaus kann der sog. „Placeboeffekt“ einen Heilungsprozess anstoßen, der nicht auf eine Wirksamkeit des Medikamentes bzw. der eigentlichen Behandlung zurückzuführen ist.
Um eine Basislinie zu erhalten, mit der die Wirkung eines Medikamentes verglichen werden kann, werden daher Probanden in zwei Gruppen geteilt, von denen die eine das Medikament, die andere nur ein Placebo erhalten.
Damit sind aber noch nicht alle Interaktionsmöglichkeiten zwischen Experimentator und Proband ausgeschlossen und es hat sich in Versuchen gezeigt, dass sich die Erwartungshaltung der Versuchsleitung auch auf die Teilnehmer übertragen kann – was eben genau diese so wichtige Basislinie verfälscht. Diese Übertragung ist so mächtig, dass sie selbst bei Tierversuchen relevant ist, mit anderen Worten: Selbst Tiere sind für eine Form von Placeboeffekt anfällig.
Um auch diese Art von Verfälschung zu vermeiden, macht man meist sog. „Doppelblind-Studien“, bei denen zufällig ausgelost wird, ob Probanden das Medikament oder ein Placebo erhalten – und weder diese noch die Betreuer wissen, in welcher Gruppe jemand ist.
Gerade in wenig kontrollierten Bereichen der Medizin wird über solche Komplikationen gerne einmal hinweggesehen, was zu unbrauchbaren Ergebnissen führen kann. Ob und wie also überhaupt eine Basislinie etabliert wurde, sollte daher immer die erste – wenn auch beileibe nicht die einzige – Frage sein, wenn man eine Studie vorgelegt bekommt.
Siehe auch
Weitere Informationen
- Prävalenzfehler auf Wikipedia
- Base Rate Fallacy auf Logically Fallacious (Englisch)