====== Kontinuumsirrtum ====== Die (fälschliche) Ablehnung von Kate­gori­sier­ungen da die be­schriebenen Varia­tionen auch als Kon­tinu­um be­schrieben werden können. Als Beispiel das folgende, auch als „Haufen­paradox“ be­kannte Gedanken­spiel: > Ein Sand­korn alleine ist noch kein Sand­haufen. > Zwei Sand­körner sind auch noch kein Sand­haufen. > Für jede Zahl von Sand­körnern, für die gilt, dass sie noch keinen „Haufen“ aus­macht, könnte man argu­ment­ieren, dass ein weiteres Sand­korn //auch// noch keinen Unter­schied aus­macht. > Egal wie oft man jeweils noch ein Sand­korn hin­zu­fügt, ist es je­weils schwer zu argu­ment­ieren, man habe nun einen „Haufen“, während man zu­vor doch noch keinen gehabt habe. > Dennoch gibt es eine Menge von Sand­körnern, die von den meisten als „Sand­haufen“ er­kannt werden würde. Zwischen den beiden Zu­ständen „kein Haufen“ und „Haufen“ existiert ein //Kon­tinu­um//, bei dem es keine scharfe Unter­scheid­ungs­linie zwischen den Kate­gorien gibt. Den­noch be­schreiben diese Zu­stände reale Phä­no­mene und sollten daher auch unter­schieden werden. ===== Andere Namen ===== * [[wissen:sorites-irrtum|Sorites-Irrtum]] (Haufen­paradoxon) * [[wissen:argument_vom_bart|Argument vom Bart / des Bartes]] * //Continuum fallacy// ===== Beschreibung ===== Finden sich Kate­gorien inner­halb eines Kon­tinu­ums und ist die Ab­grenzung der Kate­gorien un­scharf oder un­ein­heit­lich, kann es schwierig sein, zu be­stimmen, wo eine Kate­gorie auf­hört bzw. die andere an­fängt. Zu einem Denk­fehler wird dies, wenn man daraus ab­leitet, dass die Kate­gorien des­wegen nicht exis­tierten oder ir­rele­vant seien. ==== Vermeidungsstrategien ==== In vielen Fällen kann es sinn­voll sein, einen „Grau­bereich“ zu er­lauben, in dem man ein­fach akzept­iert, dass die Fest­leg­ung nicht so einfach mög­lich ist. Aller­dings kann sich hier­aus wieder das Prob­lem er­geben, die Grenzen dieses Grau­be­reiches de­fi­nieren zu müs­sen. In diesem Fall hat man das Prob­lem also nur ver­schoben. Wenn eine klare Grenze not­wendig ist, kann diese von einer Auto­ri­tät fest­gelegt werden. Ein Beispiel für diesen Ansatz ist die Fest­legung der [[wpde>Volljährigkeit|Voll­jähr­ig­keit]] zu einem be­stimmten Stich­tag (bei uns der 18. Geburts­tag). Auch dies kann aber wieder zu Prob­lemen führen, wenn diese Regel nicht alle Sonder­fälle und Aus­nahmen ab­bildet ([[verallgemeinerung:akzidensfehler:hauptseite|Akzidens­fehler]]). ==== Einschränkungen ==== Zwischen zwei Varia­tionen auf einem Kon­tinu­um kann es weitere sinn­volle Unter­teil­ungen geben: zwischen Weiß und Rot gibt es Rosa – und auch noch dutz­ende andere Farb­nuancen, wie Pink, Alt­rosé, u.s.w., die viel­leicht nur in be­stimmten Kon­texten sinn­voll sein können ([[relevanz:falsches_dilemma|Falsches Dilemma]]). ===== Weitere Beispiele ===== Obwohl die Standard­beispiele für diesen Fehler eher trivial und wenig be­lang­reich er­scheinen, sind ähn­liche Kon­tinui­täten in der ge­sell­schaft­lichen Dis­kussion nicht gerade selten und werden oft kon­tro­vers dis­kutiert. Ins­besondere wenn es nötig ist, Grenzen fest­zulegen, welche den Über­gang definieren. ==== Verschiedene Grade von Wissenschaftlichkeit ==== Argumentationen wie die folgende kann man häufig hören, wenn jemand eine eigene (meist un­wissen­schaft­liche) Theorie zu ver­teidigen versucht: > Auch die Wissen­schaft kann nie­mals //perfekte// Er­klär­ungen liefern. > Deswegen ist //meine// Theorie genauso gut wie die der Wissen­schaften. Es ist richtig, dass ein wesent­licher Teil der wissen­schaft­lichen Arbeit da­rin be­steht, auch etab­lierte Posi­tionen immer wieder zu hinter­fragen und nie­mals davon aus­zu­gehen, dass irgend­ein Wissens­bereich „aus­ge­forscht“ sei. Gerade durch dieses Hinter­fragen hat sich die Wissen­schaft immer weiter ent­wickelt und kann heute in den meisten Fällen recht gute Er­klär­ungs­modelle für viele Phä­no­mene an­bieten – nie­mals aber „perfekte“. Im Prinzip spricht auch wenig da­gegen, wenn neue Theo­rien von außer­halb des Wissen­schafts­betriebes vor­ge­bracht werden – auch wenn sich in der Tat einige Wissen­schaftler oft­mals etwas schwer damit tun. Tat­säch­lich gibt es viele Bei­spiele dafür, dass Außen­stehende wichtige Fort­schritte in den Wissen­schaften aus­lösten. Daneben muss man aber auch die Mög­lich­keit in Be­tracht ziehen, dass eine neue Theorie – ge­rade wenn sie von außer­halb des Fach­bereiches kommt und wo­mög­lich von je­mandem, der die gesamte Kom­plexi­tät des Themas nicht wirk­lich ein­schätzen kann, auch schlicht und ein­fach //ha­ne­bü­chener Un­sinn// ist. Diese Mög­lich­keit bildet so­zu­sagen das andere Ende des Kon­tinuums. Alleine anhand der obigen Aus­sage kann man nicht fest­machen, ob die ver­tretene Posi­tion eher auf der „wis­sen­schaftlichen“ oder der „un­sin­nigen“ Seite dieses Kon­tinu­ums steht. Wenn der Vor­trag­ende es aber nötig findet, zu solchen rhe­tor­ischen Tricks zu greifen, um seine Posi­tion zu ver­teid­igen, wirft zunächst aber kein gutes Licht auf die ver­tretene Position. ==== Einordnung im politischen Spektrum ==== Betrachtet man das polit­ische Spek­trum als eine Kon­tinui­tät von //Links// bis //Rechts// (was übrigens eine stark ver­ein­fachende Kate­gori­sier­ungs­meth­odik ist, die nicht in jedem Fall sinn­voll ist), so findet man einige Extrem­isten beider­lei Aus­richtung an den Enden des Spektrums und der weit­aus größte Teil der Be­völker­ung in der Mitte zwischen diesen beiden Polen. Da es keine klar de­fi­nierten Punkte gibt, an denen spezi­fi­sche Be­zeichner (u.a. „links­extrem“, „sozial­demo­krat­isch“, „sozial­liberal“, „neo­liberal“, „kon­ser­va­tiv“, „rechts­extrem“, u.s.w.) be­ginnen und enden, könnte man zu dem Schluss kommen, dass es gar keine Unter­scheid­ung gibt – und ein­fach jede Ein­stell­ung, die eher links von der eigenen Position steht als “Links­radikal” be­zeichnen (gerne als „Kom­mun­isten“ oder „An­arch­isten“ ver­un­glimpft), bzw. alles was rechts von einem selbst steht als „Rechts­radikal“ (ent­sprech­end dann „Nazi“ oder „Faschist“ als Ver­stärk­ungs­formen). Tatsächlich hat jemand, der im kon­ser­va­tiven Bereich des polit­ischen Spektrums steht, ge­wöhnlich wenig Sym­pa­thien für Nazis gemein, ebenso wenig wie ein Sozial­demokrat un­be­dingt dem Ko­mmun­is­mus oder gar Anarch­ismus nahe stehen muss. ==== Übergang vom Zellhaufen zum Embryo ==== Eine befruchtete Eizelle teilt sich und bildet zunächst eine Zellgruppe, aus der sich schließ­lich ein Embryo entwickelt. Bis zu welcher Stelle es sich dabei um einen bloßen „Zell­haufen“ bzw. ab wann es sich um ein mensch­liches Embryo handelt, kann dabei aber nicht ein­deutig be­stimmt werden. In diesem Kon­text wird deutlich, dass alleine aus der An­nahme, dass es keinen ein­deutig be­stimm­baren Über­gang von einem Zu­stand zum anderen gibt, nicht der Schluss gezogen werden kann, dass es keinen solchen Über­gang gäbe. Diese Frage ist aber von zen­traler Be­deut­ung für die moral­ische und recht­liche Ein­schätz­ung von Schwanger­schafts­abbrüchen. Es ist daher wichtig, dass dieses Thema un­vor­ein­ge­nommen dis­kutiert werden kann. ===== Siehe auch ===== * [[relevanz:falsches_dilemma|Falsches Dilemma]] * [[begriffe:mu|Mu]] * [[rhetorik:ablenkungsmanoever:ad_hominem:schuld_durch_assoziation:nutpicking|Nutpicking]] ===== Weitere Informationen ===== * [[wp>Continuum fallacy]] auf //Wikipedia// (Englisch) * [[stanford>sorites-paradox|Sorites Paradox]] auf Stanford Encyclopedia of Philosophy (Englisch) * [[http://www.fallacyfiles.org/fallheap.html|The Fallacy of the Heap]] auf Fallacy Files (Englisch) * [[https://rationalwiki.org/wiki/Continuum_fallacy|Continuum fallacy]] auf RationalWiki (Englisch)