====== Anekdotenargument ====== Ein Denkfehler und eine Art von [[rhetorik:scheinargumente:hauptseite|Schein­argument]], bei dem die [[relevanz:hauptseite|Relevanz]] von //Anekdoten// (einzelnen Fallbeispielen) gegenüber einer systematischen Untersuchung (z.B. eine statistische Analyse) der Fakten überschätzt wird. Zum Beispiel: > A: Medikament X ist bei weniger Patienten wirksam als Medi­kament Y. > B: Meine Tante hat Medikament X genommen und ihr ging es danach besser. So er­freu­lich das für Bs Tante ist, taugt es doch nicht als Gegen­arg­ument für die Aus­sage As, da //nicht// be­haup­tet wird, dass Medi­ka­ment X nicht wenigs­tens bei //einigen// Pati­enten helfen würde – und noch weniger, dass es eine Ge­nes­ung (die auch ohne Be­hand­lung oder bei Ver­ab­reich­ung von [[wpde>Placebo|Place­bos]] ein­treten kann) ver­hindern würde. Bs Antwort hat daher //keine Rele­vanz// für die Frage, ob A Recht hat oder nicht. Ohne sys­tem­at­ische Unter­such­ungen der Wirk­sam­keit des Medi­ka­mentes ist diese Frage nicht zu klären. Anek­doten alleine reichen nicht aus. ===== Andere Namen ===== * Anekdotischer Beweis / Anekdotische Evidenz * Anec­data ===== Beschreibung ===== Wir alle müssen regel­mäßig Ent­scheid­ungen treffen, ohne eine Mög­lich­keit zu haben, sich zu­nächst in die Stu­di­en­lage da­zu ein­zu­arb­eiten, oder die Frage wo­mög­lich selbst zunächst sys­tem­at­isch zu er­forschen. Es ist ver­ständ­lich, wenn man in solchen Situa­tionen dann auf [[begriffe:heuristik|Heu­rist­iken]] zu­rück­greift, welche die Ent­scheid­ungs­find­ung ver­ein­fachen. Erfahrungs­berichte von Anderen sind eine solche //Heu­rist­ik//. Wenn etwa ein Medi­ka­ment gegen die Mig­räne der Tante ge­holfen hat, ist das sicher eine Emp­fehl­ung, es auch selbst einmal damit zu probieren. Zu einem Problem wird dies, wenn die Einschränkungen solcher //Heuristiken// nicht in Betracht gezogen werden und ein anekdotischer Fallbericht so verstanden wird, als sei er zu einer systematischen Untersuchung in irgendeiner Form gleichwertig. ===== Gerechtfertigte Anwendung ===== ==== Widerlegung von Allsätzen ==== [[begriffe:allsatz|Allsätze]] (Aussagen, die sich auf alle Elemente einer Gruppe beziehen) sind nur wahr, wenn es keine Gegen­bei­spiele gibt. Um eine All­aussage zu widerlegen, ist eine Anekdote also völlig ausreichend: > A: Alle Schotten lieben Haggis. > B: Angus ist Schotte und er mag kein Haggis. Also lieben nicht //alle// Schotten Haggis. Ob eine solche Aussage wirklich die Diskussion weiter bringt oder ob es sich eher um ein [[rhetorik:ablenkungsmanoever:hauptseite|Ab­lenk­ungs­man­över]] handelt (oder zumindest so verstanden wird), hängt von der je­weiligen Situation ab. Zumind­est aber ist die Aus­­sage „Alle Schotten lieben Haggis.“ damit widerlegt. ===== Beispiele ===== ==== Wirksamkeit von Homöopathie ==== Unter [[wpde>Homöopathie]] versteht man eine alternativ­medizinische Be­hand­lungs­­met­hode, die behauptet, durch wieder­holte Ver­dünnung eines Wirk­stoffes eine stärkere Wirk­ung er­reichen zu können. In wis­sen­schaft­lichen Studien konnte für diese Methode jedoch keine über den [[wpde>Placebo#Placeboeffekt,_Placeboantwort_und_Placebowirkung|Placebo­effekt]] hinaus­gehende Wir­kung nach­gewiesen werden. Dennoch werden von Homöo­pathie-An­hängern gerne Argu­mente in Form von Anek­doten vor­ge­bracht, welche an­geblich die Wirk­samkeit belegen sollen: > Meine Tante nimmt immer Globuli und sie sagt, dass ihr das hilft. > Letztens hatte ich Kopf­schmerzen und nachdem ich die homöo­pathischen Tropfen ein­genom­men hatte, waren sie schnell ver­flogen. Um die Wirk­sam­keit einer Heil­methode zu bestimmen, müsste geklärt werden, welche anderen Fak­toren zur Heil­ung bei­ge­tragen haben: in vielen Fällen gehen ein­fache Leiden (wie Kopf­schmerzen) nach einiger Zeit ohne­hin vorüber, oft auch, ohne dass ein Medi­ka­ment ein­ge­nommen wird. Darüber hin­aus können ver­schiedene Selbst­heil­ungs­mecha­nis­men des Körpers auch durch die //Illu­sion// der Ein­nahme eines Wirk­stof­fes ([[wpde>Placebo|Pla­cebo]]) akti­viert werden. Dies nicht zu be­achten, führt zu [[mathematik:statistik:analysefehler:praevalenzfehler:hauptseite|Prä­val­enz­fehl­ern]], hier also einer Fehl­ein­schätz­ung der tat­sächlichen Wirk­sam­keit. Anekdoten, wie die oben erwähnten, tragen in jedem Fall nichts zur faktischen Ein­schätzung der Wirk­samkeit bei. ===== Siehe auch ===== * [[verallgemeinerung:vorschnelle_verallgemeinerung|Vorschnelle Verallgemeinerung]] * [[mathematik:statistik:auswahleffekte:willkuerliche_stichprobe|Willkürliche Stichprobe]] ==== Weitere Informationen ==== * [[wpde>Anekdotische Evidenz]] auf //Wikipedia// * [[https://rhetorisches-quartett.de/handbuch-2B|Fallbeispiel]] auf //Das rhetorische Quartett// * [[https://rationalwiki.org/wiki/Anecdotal_evidence|Anecdotal evidence]] auf //RationalWiki//